Der Kunstwissenschaftler und freie Kritiker Jörg Scheller hat den ADKV-ART COLOGNE Preis für Kunstkritik 2016 erhalten
Liebe Anwesende, lieber Jörg,
Ich habe heute die dankbare Aufgabe, einen der vielseitigeren Autoren zu loben, die bislang mit dem ADKV – Art Cologne Preis für Kunstkritik ausgezeichnet wurden. Eine Folge dieser Vielseitigkeit ist, dass ich diese Laudatio im Do-It-Yourself Fan-T-Shirt einer Band namens Malmzeit halte, doch dazu später mehr.
Als du mich gebeten hast, diese Rede zu halten, hast du als Grund unsere gemeinsame Arbeit und gemeinsamen Vorlieben angeführt. Das mit der gemeinsamen Arbeit stimmt. In meiner Zeit als Redakteurin für das deutschsprachige artnet-Magazin warst du einer unserer zuverlässigsten Autoren, nicht allein in Hinblick auf die konstant gute Qualität deiner Texte. Dass nach mir und Stefan Kobel wiederum ein Autor dieses ehemaligen Magazins ausgezeichnet wird, spricht für die gute Arbeit, die wir alle gemeinsam dort geleistet haben, und für die ich dir auch an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich danken will.
Bei den gemeinsamen Vorlieben bin ich mir weniger sicher. Eine teilen wir ganz unbestreitbar, die Liebe zu den Ländern Osteuropas. Bei dir, Jörg, äußert sich diese Liebe in zahlreichen Taten. Deine Anfrage hat mich aus Moldawien erreicht, genauer gesagt aus Chisinau, wo du mit StudentInnen und KollegInnen der Züricher Hochschule der Künste und der Akademie für Musik, Theater und Bildende Künste Chisinau eine „Künstlerische Erkundung von Chisinau in 7 Tagen“ kokuratiert hast. Im November 2014 hast du für das Museum of Newest Art Poznan die Ausstellung „Interconnections_01. New Screenbased and Projection Art from Zürich and Poznan“ kokuratiert. Und wenn wir uns beruflich mailen mussten, warst du, zumindest gefühlt, immer in Polen oder in Rumänien.
Nun hast du allerdings auch zwei große Leidenschaften, die ich weder aktiv noch passiv teile, die dich aber zu dem interessanten Autor machen, der du bist. Die eine Liebe ist die zur metallenen Musik, namentlich zur Band Motörhead, noch präziser zu deren jüngst verstorbenem Sänger Ian Fraser „Lemmy“ Kilmister, den du mehrfach getroffen und portraitiert hast. Auf dem Pressefoto anlässlich dieses Preises bist du selbst im Motörhead-T-Shirt portraitiert. Du siehst, das habe ich aufgegriffen, um hier und heute deiner Zwei-Mann-Trash-Metal-Band Malmzeit Reverenz zu erweisen, die sich aus Earl Grey, das bist du, und deinem Bandkollegen Sumatra Bop zusammensetzt. Für jemanden, der wie ich in unmittelbarer Grenznähe zu Belgien aufgewachsen ist, stellt deine Musik eine gewisse Herausforderung dar, denn ich wurde entsprechend elektronisch sozialisiert. Doch du darfst auf einen Wechsel der musikalischen Fronten hoffen. Deine Band plant ja jetzt schon für das eigene Alter und das ihrer Fans vor. Nicht ohne Grund präsentiert ihr euch bei euren Auftritten weit gediegener, als du das als Kunstkritiker tust, ihr bearbeitet eure Instrumente auf einem Sofa sitzend und trinkt ausschließlich Tee. Wenn ich es dann irgendwann nicht mehr in die Clubs schaffe, werde ich gerne eure Dienstleistung in Anspruch nehmen, denn ihr bietet auch einen musikalischen Lieferservice an.
Die zweite Liebe, die ich nicht mit dir teile, ist das Bodybuilding. Offenbar aber wirkt deine Begeisterung auf viele andere derart ansteckend, dass das DFG-Graduiertenkolleg dir von 2007 bis 2009 ein Promotionsstipendium gewährt hat, damit du 2011 an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe mit einer geisteswissenschaftlichen Studie über Arnold Schwarzenegger promovieren konntest. Daraus ist eine viel besprochene Publikation geworden, „Arnold Schwarzenegger oder Die Kunst, ein Leben zu stemmen“. Schon dieser Titel verrät deinen Sprachwitz, der sich durch sämtliche deiner Publikationen zieht. Deine Beiträge in Gestalt von Vorträgen oder Texten zum Thema starker Körper sind jedoch derart zahlreich, dass ich dies hier nicht stemmen kann.
Vielleicht wird sich der eine oder die andere an dieser Stelle fragen, ob sie noch bei der Verleihung eines Preises für Kunstkritik ist oder noch auf der FIBO, jener Messe für die „Fitness-, Wellness- und Gesundheitsbranche“, die aktuell für solch unerfreuliche Terminverwicklungen zwischen der Art Cologne, die dem stärkeren Event FIBO weichen muss, und dem Gallery Weekend Berlin sorgt. Bei dir, Jörg, verlaufen die Grenzen zwischen Körperlichem, Akustischem und Kunst nicht nur fließend, du betrachtest sämtliche kulturelle Äußerungen als gleichrangig und unter gleichen ästhetischen und/oder soziologischen Aspekten.
Dabei gehörst du zu den wenigen Kollegen, die sich dem Sport oder der Musik nicht nur deshalb widmen, weil dies unter den männlichen Kunstkritikern irgendwie zum guten Ton gehört, du verkörperst beides, buchstäblich. Und wer kann schon Heavy Metal mit Adorno erklären – oder ist es umgekehrt? „Adorno starb 1969, kurz bevor Black Sabbath das genrebegründende Album Black Sabbath einspielten. Bevor er ging“, schreibst du in „Headbanging für Verkopfte“, einem der Texte, für die du diesen Preis erhältst, „formulierte er jedoch geschwind noch die ultimative Formel für Heavy Metal: Mimesis ans Verhärtete und Entfremdete. Was auf die Kunst der Moderne gemünzt war, nämlich dass sie trotz Selbstreferenz per se von der Umwelt kontaminiert sei, gilt auch für Heavy Metal. Er artikuliert, sich selbst erhärtend, ein Unbehagen in der entfremdeten Techno-Kultur der Moderne und schöpft tief aus dem Fundus der Kulturkritik.“
Dass du in diesen wenigen Sätzen Adorno und Heavy Metal sowohl einzeln als auch miteinander erklären kannst, belegt deine Qualität als Autor und auch dein profundes kulturtheoretisches Wissen, denn – das weiß jeder, der schreibt – um derart kurz und prägnant zu formulieren, muss man ein Thema erst einmal durchdrungen und verstanden haben. Präzision und Knappheit sind ausgesprochen zeitaufwendig, auch wenn es wie das Gegenteil wirken mag.
Damit sind wir bei dem Thema, ohne das keine solche Laudatio auskommen kann, nämlich die Kritik an den Zumutungen, unter denen wir KunstkritikerInnen arbeiten. Denn die bekannten prekären Verhältnisse dazu, dass wir alle ein anstrengendes Leben im „Und“ verbringen, wie du es nennst: „'Und'-Kunst nach altem Vorbild“, so ist einer deiner Texte übertitelt. Deine zahlreichen „Unds“ findet man auf deiner Webseite: Dort stehen Stichworte wie Blog, Academia, Journalismus, Musik, Publikationen, Ausstellungen und noch vieles mehr. Einige deiner Ausstellungen habe ich bereits erwähnt. Genannt sei hier um der Kürze willen nur noch, dass du im Jahr 2013 das Rahmenprogramm zum Schweizer Beitrag auf der 55. Biennale von Venedig kuratiert hast.
Auch die Stationen deiner Lehrtätigkeiten kann ich nur anreißen, so die HfG Karlsruhe, die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, die Akademie für Darstellende Kunst Ludwigsburg, die Université de Strasbourg und die Uniwersytet Artystyczny w Poznaniu. Du warst wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Siegen und am Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft in Zürich, seit 2012 hast du eine Dozentur für Kunstgeschichte und Kulturtheorie an der Zürcher Hochschule der Künste inne.
Hier und heute aber wirst du als Kunstkritiker ausgezeichnet, und dieser Preis, das kann ich aus eigener Erfahrung sagen, ist eine schöne Anerkennung für unser Tun. Denn die Diskrepanz ist skandalös, die Diskrepanz, die sich zwischen der Unterstützung und Wertschätzung von Kunst einerseits und einer Kritik andererseits auftut, die manche Kunst überhaupt erst erklärt, die Unschärfen, Fehldeutungen und Lücken in der Kunstgeschichte aufdeckt, die – wie du, klug, humorvoll, zugänglich – auch für Künstler eintritt, die sonst aus dem Blick geraten würden oder schon geraten sind. Ich verweise nur auf deinen Artikel aus dem Januar letzten Jahres bei Zeit Online über die auch mir bis dahin vollkommen unbekannte Künstlerin Hal Busse, deren Werk du zwischen Zero, Pop und Landschaftsmalerei verortest.
Das regelmäßige Lamento, Kunstkritik sei bedeutungslos, kann in meinen Augen nur auf einem Missverständnis beruhen, nämlich dem, sie auf Geschmacksurteile zu reduzieren, auf Kauf- oder Nicht-Kauf-Empfehlungen für Sammler, auf Kolportage und nicht einmal mehr Reportage wild spekulativer Preise oder Glamourevents mit Hollywoodstars. Derlei ist dir völlig fremd. Du betrachtest und analysierst weniger die Galerie-, als die Museumsausstellung, auch dies eine der in meinen Augen notwendigen Aufgaben der Kunstkritik. Die Öffentlichkeit sollte doch ein Interesse daran haben, dass wir das Tun ihrer Häuser kritisch begleiten. Und damit meine ich nicht ausschließlich die Bewertung der dort gezeigten Kunst, sondern auch – und das leistet gute Kunstkritik – die Hinterfragung der ökonomischen und persönlichen Interessen und Gemengelagen in den noch vielen und vielfältigen Museen hierzulande.
Lieber Jörg, deine Texte zu lesen ist für mich das pure Vergnügen. Weil du belehrst und unterhältst, was ich im Übrigen für eine große und unterschätzte Tugend zumal im deutschsprachigen Kunstdiskurs halte. Du quälst die Leser nicht mit Formulierungen wie „das Thema des postkritisch-relationsästhetischen Agonal-Artivismus unter Einbezug polyhegemonialer Subjektivierungspraxen im interhistorischen Äon“– auch wenn dieser realsatirische Titel aus einem deiner Texte stammt, als das fiktive Dissertationsthema im Rahmen der heute so beliebten Künstler-PhDs ist. Zum Belehren und Unterhalten kommt bei dir noch eine Eigenschaft hinzu, die du in deinem Nachruf in der Süddeutschen Zeitung an deinem so verehrten Lemmy preist, und die ich auch an dir preisen will, denn schließlich ist dies eine Laudatio: Ehrlichkeit. Und darum will ich mit einem weiteren Zitat aus eben diesem Nachruf schließen: „Menschen, das blenden Pfaffen, Politiker, Glückstrainer und Anlageberater gemeinhin aus, wissen Ehrlichkeit zu schätzen, ja sie kommen sogar mit Realitäten zurecht“.
Astrid Mania Köln, 16. April 2016 Link zu ADKV
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Jörg Scheller Foto Zsu Szabo
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