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Offener Brief / Petition:

Geplanter Verkauf von öffentlichem Kunstbesitz

August Macke, Gartenbild, 1911
August Macke, Gartenbild, 1911 ehem. Westdeutsche Landesbank, Düsseldorf / jetzt Portigon AG, Düsseldorf copyright Creative commons

Geplanter Verkauf von öffentlichem Kunstbesitz in Nordrhein-Westfalen

Der Vorstand des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker e.V. hat den nachfolgenden offenen Brief im Dezember 2014 an die Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen Hannelore Kraft gerichtet, um gegen den geplanten Verkauf zahlreicher Kunstwerke zu protestieren, die mit Steuergeldern angekauft wurden und von denen sich viele an öffentlichen Orten, mitunter sogar seit Jahrzehnten als Dauerleihgaben in nordrhein-westfälischen Museen befinden.

An die
Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen
Frau Hannelore Kraft MdL
Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen
40190 Düsseldorf

Offener Brief: Geplanter Verkauf von öffentlichem Kunstbesitz in Nordrhein-Westfalen

Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin,
der Verband Deutscher Kunsthistoriker e.V. ist zutiefst besorgt über den geplanten Ver­kauf zahlreicher Kunstwerke, die mit Steuergeldern angekauft wurden. Viele von ihnen befinden sich an öffentlichen Orten, mitunter sogar seit Jahrzehnten als Dauerleih­gaben in nordrhein-westfälischen Museen. Was sich bereits mit dem Verkauf der Warhol-Werke im Herbst 2014 ankündigte, scheint in noch weitaus erschreckenderem Rahmen fortgesetzt zu werden. Mit diesem Schreiben möchten wir Ihnen unseren scharfen Protest gegen dieses Vorhaben verdeutlichen!
Der Portigon AG wurde der Kunstbesitz der insolventen WestLB übertra­gen, die als landeseigene Bank über Jahrzehnte Kunst angekauft hat und damit erheblich zum kulturellen Gepräge des Bundeslandes als demokratisch verfasste Kulturlandschaft innerhalb der Bundesrepublik Deutschland beitrug. Die über zweihundert Werke um­fassende Sammlung der Portigon AG, zu der etwa Werke von August Macke, Gabriele Münter, Joseph Beuys, Eduardo Chillida, Günther Uecker und Isa Genzken zählen, steht nach übereinstimmenden Medienberichten zum Verkauf.
Die geplante Veräußerung lässt erahnen, dass es sich bei den Warhol-Bildern nur um den Auftakt zu einem noch viel größeren Verkauf von Kunst in Nordrhein-Westfalen handelte, die einst mit landeseigenen Mitteln angekauft wurde. Mehr noch: Nun stehen nach den Plänen der Landesregierung auch zahlreiche Kunstwerke zur Disposition, die der Obhut von Museen anvertraut wurden. So gehören zu den Werken im Besitz der Portigon AG auch zwei hochbedeutende, um 1450 entstandene Tafeln des sienesi­schen Malers Giovanni di Paolo, die sich seit langem im Westfälischen Landesmu­seum Münster befinden; die WestLB hatte sie seinerzeit aus dem einzigen Grunde gekauft, sie dauerhaft für das Museum zu sichern. Dass – in dieser Weise erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland – in Museen befindliche Kunstwerke zum Verkauf anstehen, erzürnt uns auf besondere Weise, denn diese Pläne stellen einen besorgniserregenden Dammbruch dar.
Wir befürchten, dass nicht nur schon jetzt herausragende Kunstwerke aus Nordrhein-Westfalen, vielleicht sogar – wie bei den Warhol-Gemälden geschehen – aus Europa verschwinden werden. Große Sorge macht darüber hinaus eine mögliche Ketten­reaktion: Was wird mit den Werken in öffentlich-rechtlichen Institutionen geschehen, was mit denen, die Freundeskreisen und Fördervereinen gehören? Es ist aus gutem Grund ein Tabu, Museumsbesitz auf dem freien Kunstmarkt zu veräußern, um damit kommerzielle Profite zu erzielen. Museumsbesitz ist unveräußerlich gestellt, um ihn den Konjunkturen des Zeitgeschmacks oder ökonomischer Bewertungen zu entziehen und in die lange Dimension künftiger Generationen zu setzen.
Die Kunstwerke der nordrhein-westfälischen Museen sind ein integraler Bestandteil der Kulturlandschaft dieses Bundeslandes. Jährlich werden die einzigartigen Samm­lungen von hundertausenden Kunstinteressierten aus allen Schichten der Bevölkerung aufgesucht: Kinder im Vorschulalter, Schulklassen, Berufstätige ebenso wie Erwerbs­lose sowie Rentnerinnen und Rentner. Ohne Übertreibung lässt sich sagen, dass es keine andere dem Museum vergleichbare Institution gibt, die eine solche, die Genera­tio­nen übergreifende Bandbreite an Besuchern aufweisen kann. Die in mehr als zwei Jahrhunderten gewachsenen Bestände der Museen sind reich an religiöser und pro­faner Kunst, an Skulpturen und Gemälden und stellen einen unverrückbaren Bestand­teil der Identität der Menschen zwischen Rhein, Ruhr und Weser dar. Darüber hinaus besitzen die Museen einen zentralen Bildungsauftrag, kommt doch in einer Welt, die immer stärker durch die virtuellen Welten des Internets bestimmt wird, den Objekten im Museum eine immer wichtigere Rolle zu, da sie unsere kulturelle Identität anhand der Werke in direkter, nahezu haptischer Weise vermitteln.
Jahrzehntelang wurden nach dem Zweiten Weltkrieg mit Steuergeldern auch außer­halb von Museen Kunstwerke gekauft – viele von ihnen in der Absicht, sie für die Öffent­lichkeit zu gewinnen, viele auch mit der Zusage, sie als Dauerleihgaben in öffentliche Museen zu geben. Werke der Moderne wie die Warhol-Bilder wurden gerade in Nord­rhein-Westfalen nicht zuletzt auch als Ausdruck des demokratischen Verfasstheit die­ses Bundeslandes gekauft. Diese Verflechtung von Politik, Kultur, Geschichte und de­mokratischer Identität war langjähriger Konsens – ein Konsens, der gegenwärtig ein­seitig aufgekündigt wird. Dies bedroht nicht nur den kulturellen Reichtum im Bundes­land, es zerreißt auch eine als gesichert geglaubte Überlieferung und kündigt den kul­turellen Generationenvertrag auf.
Die fatale Signalwirkung, den diese durch finanzielles Missmanagement verursachten Verkaufspläne schon jetzt aussenden, lässt sich auch daran ablesen, dass aktuell zahl­reiche Kommunen in Nordrhein-Westfalen Anrufe von internationalen Auktions­häusern erhalten. Es wäre eine weitere, zu erwartende Kettenreaktion, nicht nur die klammen landeseigenen, sondern auch die mindestens ebenso klammen kommuna­len Kassen durch den Verkauf von Kunstwerken zu entlasten.
Der Verband Deutscher Kunsthistoriker fordert Sie, sehr geehrte Frau Ministerprä­si­den­tin, sowie die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen unmissverständlich auf, von den geplanten Verkäufen durch die Portigon AG Abstand zu nehmen. Da das Land indirekt Mehrheitsgesellschafter der Portigon AG ist, besitzen Sie dazu die Handlungs­möglichkeit. Wir solidarisieren uns dabei ausdrücklich mit dem Appell, der bereits durch die Kolleginnen und Kollegen von 26 Museen in Nordrhein-Westfalen hin­sicht­lich der Warhol-Bilder an Sie ergangen ist. Nordrhein-Westfalen darf nicht als erstes deutsches Bundesland mit einem kulturellen Tabu brechen und landeseigenen Mu­se­ums­besitz veräußern. Dieses Verhalten würde sich zu einem regelrechten Flächen­brand ausweiten, sollte dieser geplante Verkauf von öffentlichem Kunstbesitz Schule machen.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Prof. Dr. Kilian Heck
Erster Vorsitzender

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