AICA fordert Wahrung der Kunstfreiheit in Gelsenkirchen
Stellungnahme des Vorstands der AICA Deutschland
AICA Deutschland protestiert gegen die Entfernung des Kunstwerks „Hallender Hass“ von Melisa Kujević von den Licht Kunst Projekten Goldstücke in Gelsenkirchen.
Die Entfernung des Kunstwerkes „Hallender Hass“ von Melisa Kujević von den Licht Kunst Projekten Goldstücke in Gelsenkirchen stellt einen Eingriff der Stadt in die Kunstfreiheit dar und muss rückgängig gemacht werden.
In den von der Stadt vorgebrachten Begründungen für die Entfernung des Werkes und ihre offenkundige Beschneidung kuratorischer Unabhängigkeit sehen wir eine Form politischer Willkür. Als besonders problematisch erachten wir dabei die nun bekannt gewordene Argumentation der Gelsenkirchener Kulturamtschefin, das Werk sei aufgrund der Neutralitätspflicht der Stadt und ihrer Einrichtungen entfernt worden. Diese Argumentation führt in diesem Fall das Prinzip politischer Neutralität öffentlicher Institutionen ad absurdum. Sie bewirkt nicht den Schutz demokratischer Institutionalität und öffentlicher Debattenkultur, sondern führt zu ihrer Erosion.
Bei dem Kunstwerk „Hallender Hass“ von Melisa Kujević handelt es sich um eine begehbare Found-Footage-Collage aus Wort und Bild. Sie thematisiert in ihren medialen Collageelementen den gezielten Missbrauch der demokratischen Grundsätze freier Meinungsäußerung durch Hassrede. Ihre Medieninstallation zeigt dies anhand zahlreicher Beispiele von Medienauftritten rechtspopulistischer Politikerinnen und Politiker.*
Die Auswahl der Beispiele und ihre inhaltliche Ausrichtung durch die Künstlerin unterliegt dabei der Kunstfreiheit.
Das Neutralitätsgebot öffentlicher Institutionen oder Veranstaltungen wird durch die Wahrung der Kunstfreiheit gewährleistet – nicht durch ihre politische Einschränkung.
Die Sanktionierung eines Kunstwerkes aus parteipolitischen Rücksichten stellt dagegen eine Einschränkung der Kunstfreiheit dar, die es zum Ziel hat, das Neutralitätsgebot zu Gunsten einer Seite auszuhebeln. Dies würde ebenso für jede andere Auswahl von Hassrede-Beispielen durch die Künstlerin gelten – darüber hinaus aber potenziell für alle politisch als kontrovers zu verstehenden Inhalte von Kunstwerken.
Die Kunstfreiheit und ihre Wahrung durch das Neutralitätsgebot bilden den Rahmen der öffentlichen Debatte.
Die Stadt als öffentliche Veranstalterin des Festivals hat dabei die Kunstfreiheit zu vertreten, nicht die Auffassungen der Künstlerin.
Die Vielstimmigkeit der öffentlichen Debatte mit der Diffamierung einer bestimmten Haltung oder Partei gleichzusetzen, ist die Strategie des Populismus. Diese hat in der Kulturpolitik der letzten Jahre einen besorgniserregenden Einfluss gewonnen.
Der Verband der Kunstkritikerinnen und Kunstkritiker in Deutschland (AICA Deutschland) fordert daher dringend, der zunehmenden Verdrehung und Verkehrung des demokratischen Debattenrahmens im Kulturbereich entgegenzutreten.
Die Kulturpolitik muss die Anwältin der Kunstfreiheit bleiben.
AICA Deutschland
Verband der Kunstkritikerinnen und Kunstkritiker in Deutschland
Der Vorstand
Kolja Reichert
Jeannette Brabenetz
Carsten Probst
Ellen Wagner
*Bei dem ausgestellten Werk handelt es sich um die künstlerische Abschlussarbeit von Melisa Kujević an der HBK Saar in der Klasse von Prof. Daniel Hausig. Das Werk ist auf der Website der Klasse dargestellt und erläutert: https://atelier-hausig.hbksaar.de/personen/melisa-kujevic